Kritische Hinterfragung „psychogener“ Erkrankungen bei der Katze am Beispiel der „psychogenen Leckalopezie“

Ein Fallbericht

Der Katze wird gemeinhin ein besonders komplexer Charakter nachgesagt, oft gelten die Samtpfoten auch als launisch, eigensinnig, unberechenbar – und wenn ihnen „etwas nicht passt“, reagieren sie mit Verhaltensauffälligkeiten. So die vielfach vertretene Ansicht, die sich auch darin niederschlägt, dass bei der Katze deutlich häufiger als bei Hunden eine „psychogene“ Erkrankung diagnostiziert wird. Die Möglichkeit, dass sich hinter der beobachteten „psychischen“ Störung ganz konkrete körperliche Beschwerden (allen voran Schmerzen, Juckreiz, aber auch etliche andere Erkrankungen) verbergen könnten, wird oft gar nicht in Betracht gezogen. Vielmehr wird bei der Katze häufig (vorschnell) davon ausgegangen, dass eine Somatisierung vorliegt, d.h., dass sich psychische Phänomene als körperliche Symptome ausdrücken.

Ein besonders prominentes Beispiel für die Annahme psychischer Ursachen für eine Verhaltensauffälligkeit ist das „Kahllecken“. Katzen, die sich an den verschiedensten Stellen des Körpers so stark belecken, dass das Fell verschwindet und/ oder sogar die Haut beschädigt wird, sind in der Tierarzt- und der Tierheilpraxis häufig anzutreffen – Alopezie ist bei Katzen der vierthäufigste Grund der Vorstellung. Auch hier wird sehr schnell davon ausgegangen, dass eine Somatisierung vorliegt, vor allem Stress wird als Ursache für das Kahllecken angenommen und die Diagnose „psychogene Leckalopezie“ gestellt.

Hintergrund psychogene Leckalopezie

Die psychogene Leckalopezie zählt zu den Zwangserkrankungen („obsessive compulsive disorders“); Auslöser sind hauptsächlich Verlust der Kontrolle über das eigene Territorium (z.B. durch Umzug), (chronischer) Stress (z.B. durch Spannungen im Mehrkatzenhaushalt, ein neues Haustier, gravierende Veränderungen im Lebensumfeld und -rhythmus durch Ankunft eines Babys), fortwährende Angst.
Die Diagnose erfolgt als reine Ausschlussdiagnose. D.h., bevor von einer „echten“ psychogenen Leckalopezie gesprochen werden kann, müssen alle anderen Ursachen für das übermäßige Lecken ausgeschlossen werden. Dazu zählen:

  • Juckreiz aufgrund allergischer Erkrankungen (Atopie und Futterallergie) oder aufgrund von Parasitosen (Flöhe, Haarlinge etc.);
  • Pilzerkrankungen (Dermatophytosen);
  • Endokrinopathien (Diabetes mellitus, Hyperthyreose);
  • Schmerzen z.B. infolge degenerativer Veränderungen von Gelenken, aufgrund von Harnwegserkrankungen (Zystitis, Blasensteine, feline interstitielle Zystitis) oder im Zusammenhang mit einer Neoplasie.

Foto: pkanchana – AdobeStock

Der diagnostische Aufwand ist also enorm und umfasst Hautbiopsien, Zytologie von Hautgeschabseln, Pilzkultur, Trichoskopie (Untersuchung von Haaren unter dem Mikroskop), Behandlungen gegen Parasiten, Eliminationsdiät, Urinanalyse, Blutuntersuchung, Röntgen, ggfs. CT/MRT. Bei weitem nicht in allen Fällen wird dieser diagnostische Aufwand erschöpfend betrieben, zumal auch die damit einhergehenden Kosten für den Halter beträchtlich sein können. Für spezielle Untersuchungen ist darüber hinaus die Konsultation eines Spezialisten (Dermatologe) nötig, wozu nicht alle Halter bereit bzw. in der Lage sind. Erschwerend kommt hinzu, dass, wie oben dargelegt, gerade bei der Katze eine psychische Ursache insbesondere des Kahlleckens tendenziell sehr schnell in den Blick genommen wird, die Diagnose „psychogene Alopezie“ somit vorschnell gestellt wird, ohne dass alle diagnostischen Schritte ausgeschöpft wurden. Dies führt dazu, dass die „psychogene Alopezie“ in ganz erheblichem Maße überdiagnostiziert ist.
Zu diesem Schluss kommt unter anderem auch eine vielbeachtete kanadische Studie. In deren Rahmen wurden Katzen mit der Diagnose „psychogene Alopezie“ nochmals diagnostisch umfassend aufgearbeitet. Ergebnis war, dass es bei 76% der Katzen eine medizinische Ursache für das Kahllecken gab, in der Hauptsache handelte es sich hier um Futtermittelallergien. Bei lediglich 10% bestand tatsächlich eine psychogene Alopezie. Auch der vielfach beobachtete Befund, dass Psychopharmaka bei Katzen mit „psychogener“ Alopezie meist keine Wirkung zeigen, ist ein Hinweis darauf, dass es sich oft um eine verfrühte Diagnose und damit in vielen Fällen um ein tatsächlich somatisches Problem handelt.
Auch im nachfolgenden Fallbeispiel wurde die Diagnose „psychogene Leckalopezie“ gestellt – zu Unrecht. Dies war jedoch nicht in erster Linie auf lückenhafte Diagnostik zurückzuführen; tatsächlich hat die Patientin durchaus etliche diagnostische Maßnahmen durchlaufen. Das Fallbeispiel veranschaulicht vielmehr die überragende Bedeutung, die – neben aller Diagnostik – einer gründlichen und umfassenden Anamnese zukommt sowie der Bereitschaft, eine einmal getroffene Diagnose immer zu hinterfragen, wenn es Aspekte gibt, die einfach nicht „ins Bild passen“ wollen. Nur so lassen sich häufig ganz simple, schlicht übersehene Einzelheiten aufdecken, die dann schließlich die Lösung des „Rätsels“ sind.

Fallbericht „Yuki“

Yuki ist eine inzwischen 12-jährige, weiblich- kastrierte Mischlingskatze (Siam- EKH). Sie lebt als reine Wohnungskatze (Zugang nur zu einem gesicherten Balkon) mit einer gleichalten Partnerkatze zusammen. Beide Katzen (keine Wurfgeschwister) sind zusammen aufgewachsen. Yuki leidet unter FORL (Feline odontoklastische resorptive Läsionen); es wurden daher schon mehrere Zahnextraktionen vorgenommen. Im Jahr 2017 wurde Yuki erneut in einer Tierklinik zur Zahnextraktion vorgestellt. Der Eingriff verlief völlig komplikationslos, die Narkose wurde gut vertragen, sodass Yuki nach einigen Stunden Aufenthalt in der Klinik nach Hause entlassen werden konnte.
Wenige Tage nach dem Eingriff bemerkten die Besitzer, dass Yuki begann, eine Stelle an der Innenseite des rechten Hinterlaufs kahl zu lecken. In den folgenden Wochen weiteten sich die kahlgeleckten Stellen aus: die Innen-/Rückseiten beider Hinterläufe, der rechte Hinterlauf im Bereich des Kniegelenkes (Abb.1), sukzessive das gesamte Abdomen (Abb.2), rechts und links im Bereich des Rumpfes (Abb.3 + 4), auch die Tasthaare an den Karpalgelenken wurden abgeleckt. Die kahlgeleckten Stellen waren diffus verteilt, teilweise besserte sich das Bild an einzelnen Stellen, um an anderen neu aufzutreten. Die Haut an den haarlosen Stellen war intakt, es gab keine Rötungen oder Läsionen.

Abb. 1

Abb. 2

Abb. 3

Abb. 4

 

 

 

 

 

 

 

 

Yuki wurde schon kurz nach Auftreten der Symptome einem Tierarzt vorgestellt. Ein Trichogramm bewies, dass die Haare tatsächlich abgeleckt worden waren – es zeigten sich die typischen abgebrochenen Haarspitzen. Somit konnte ein primärer Haarausfall (z.B. telogenes Effluvium) ausgeschlossen werden, ebenso wie Flöhe (Flohkammprobe). Die Untersuchung von Hautbiopsien ergab, dass weder andere Parasiten, Pilze noch hormonelle Imbalancen vorlagen. Es ließen sich lediglich subepidermal einige Mastzellen (Hinweis auf eine IgE-vermittelte allergische Reaktion) sowie etwas vermehrte Lymphozyten nachweisen. Um Schmerzen, z.B. aufgrund von degenerativen Gelenkerkrankungen (Kahllecken des rechten Hinterlaufs über der Kniescheibe; Ablecken der Tasthaare im Bereich der Karpalgelenke) oder von Erkrankungen des Harntraktes (kahle Stellen im Bereich des kaudalen Abdomens) auszuschließen, wurde Yuki einem Orthopäden vorgestellt; eine eingehende Untersuchung ergab keinerlei Hinweis auf Schmerzen. Eine Harnuntersuchung sowie ein Ultraschall der Harnblase blieben ebenfalls ohne Befund. Mithilfe eines Blutbildes konnten Organopathien oder Endokrinopathien ausgeschlossen werden.
Auch wenn Yuki keinerlei gastrointestinale Symptome zeigte, wurde aufgrund der Befundlage durch den behandelnden Tierarzt der Verdacht auf eine Futtermittelallergie geäußert. Während mehrerer Monate stellten die Besitzer Yuki in der folgenden Zeit auf verschiedene kommerzielle Ausschlussdiäten um – sowohl „Novel“-Protein-Diäten (Diäten mit nur einer neuen Proteinquelle) als auch hydrolysierte Diäten (Diäten mit enzymatisch aufgespaltenen Proteinen, um deren allergenes Potenzial zu vermindern – zu „Novel“-Protein-Diäten und hydrolysierten Diäten siehe auch tierisch geheilt 06/2020). Tatsächlich besserte sich das Kahllecken unter einigen Futtermitteln – nur um zu einem späteren Zeitpunkt unter dem gleichen Futtermittel wieder aufzutreten. Da die Besitzer die jeweiligen Diäten absolut strikt einhielten, konnte ausgeschlossen werden, dass die Rückfälle auf die Verfütterung von allergieauslösendem Futter (z.B. in Form von Snacks) zurückzuführen waren.
Überhaupt war es über insgesamt fast drei Jahre das entscheidende Merkmal von Yukis Fall, dass die Symptome (scheinbar) unregelmäßig zu- und abnahmen: Teilweise leckte Yuki sich sehr stark kahl, dann wieder weniger, teilweise wuchs das Fell sogar an fast allen Stellen wieder komplett nach, nur um später wieder abgeleckt zu werden. Ein saisonales Muster, welches auf bestimmte Umgebungsallergene (z.B. Pollen) hätte schließen lassen, war jedoch nicht zu erkennen.
Nachdem die Hypothese „Futtermittelallergie“ letztlich aufgegeben worden war, wurde die Verdachtsdiagnose „psychogene Leckalopezie“ gestellt. Hinweise auf einen möglichen Auslöser gab es allerdings nicht. Das Zusammenleben mit der Partnerkatze war sehr harmonisch – soziale Körperpflege (Allogrooming) und gemeinsame Nutzung von Schlafplätzen mit Körperkontakt (Alloresting) wurden regelmäßig beobachtet. Es hatte keinen Umzug und keine Renovierungsmaßnahmen gegeben, die Zusammensetzung der Familie hatte sich nicht geändert (kein neues Familienmitglied oder Haustier). Die Ausbringung von künstlichen Pheromonen (Gesichtspheromon F3-Fraktion), also den von bestimmten Drüsen abgesonderten Duftstoffen, mit denen Katzen untereinander kommunizieren und die eine beruhigende Wirkung auf die Katze haben sollen, erzielte ebenfalls nicht den erwünschten Effekt.
Schließlich wurde eine auf Verhaltensmedizin spezialisierte Tierärztin zu Rate gezogen. Diese bestätigte die Verdachtsdiagnose „psychogene Leckalopezie“ und bezog sich hierbei in erster Linie auf Yukis Siam-Erbe (Yukis Mutter ist eine Siamkatze) – in einigen Studien zeigten sich Siamkatzen prädisponiert für die Entwicklung einer psychogenen Leckalopezie. Die empfohlenen verhaltenstherapeutischen Maßnahmen zur Stressreduktion (Einsatz von Pheromonen, s.o., Ausweitung und Intensivierung von täglichen Spieleinheiten, Schaffung von Rückzugsmöglichkeiten) wurden von den Besitzern umgesetzt. Auch dies hatte keinen Einfluss auf Yukis Symptome.
Ca. 2,5 Jahre nach Auftreten der ersten Symptome begann Yuki plötzlich, ihre Ohren außen wund zu kratzen. Deutlich übersteigertes Kratzen hatte es bisher nicht gegeben, und auch das Lecken hatte nie zu einer Beschädigung der Haut geführt. Mit einem von der behandelnden Tierärztin verordneten lokal angewendeten Hydrocortisonpräparat ließ das Kratzen rasch nach, trat aber wenige Wochen nach Absetzen erneut auf.
Diese neue Entwicklung, dass nun erstmals Schäden an der Haut bei Yuki auftraten, beunruhigte die Besitzer sehr, sodass sie Yuki in der Tierheilpraxis vorstellten. Nachdem schulmedizinisch alle Möglichkeiten ausgeschöpft waren, erhofften sie sich, durch naturheilkundliche Ansätze, z.B. die Bachblütentherapie, Yukis „psychogene“ Leckalopezie positiv beeinflussen zu können.

Foto: ©Jane Duursma – unsplash.com

Angesichts dessen, dass, wie oben erwähnt, bei Katzen nur sehr selten eine „echte“ psychogene Leckalopezie vorliegt, wurde nochmals eine sehr gründliche Anamnese durchgeführt. Hierbei äußerten die Besitzer auch immer wieder Zweifel an der psychischen Ursache von Yukis Symptomen: So wurde Yuki als eine sehr fröhliche Katze beschrieben, die in großer Harmonie mit Menschen und Partnerkatze lebte. Auch war sie bemerkenswert stressresistent, zeigte keine gravierenden Ängste (z.B. vor Fremden, Umgebungsgeräuschen etc.). Selbst Tierarztbesuche setzten ihr nicht zu: sie ging stets freiwillig in ihren Transporter und zeigte sich bei der Untersuchung zwar etwas angespannt, aber ohne jegliche Abwehrreaktionen. Eine Begehung der Wohnung zeigte, dass der Lebensraum weitestgehend den artspezifischen Bedürfnissen der Katze genügte. Insgesamt entsprach das so von Yuki gewonnene Bild nicht dem einer Katze, die typischerweise eine psychogene Leckalopezie entwickelt.
Im weiteren Verlauf des Anamnesegesprächs erwähnten die Besitzer schließlich ein sehr interessantes Detail: Yuki und ihre Partnerkatze verbrachten im Sommer regelmäßig zwei bis drei Wochen in einer Katzenpension. Jedes Mal, wenn Yuki aus der Pension zurückkam, war das Fell nachgewachsen – nach einigen Wochen zu Hause leckte sich Yuki aber wieder kahl. Hier zeigte sich zum ersten Mal ein Muster in Yukis Geschichte, und gleichzeitig verstärkten sich die Zweifel an der Verdachtsdiagnose „psychogene Leckalopezie“ massiv. Auch wenn Yuki und ihre Partnerkatze in der Pension keinen Kontakt zu anderen Katzen hatten, sich dort nicht offensichtlich unwohl fühlten und nach Rückkehr keine Verhaltensauffälligkeiten zeigten, ist mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass der Aufenthalt in der Pension nichtsdestotrotz mit einem nicht unerheblich erhöhten Ausmaß an Stress für die Tiere verbunden ist. Dass es in einer solchen Situation zu einer Verbesserung der psychogenen Leckalopezie kommt, ist extrem unwahrscheinlich; der umgekehrte Fall, nämlich verstärktes Kahllecken, wäre zu erwarten gewesen.
Weiter zu den näheren Umständen rund um den Aufenthalt in der Katzenpension befragt, berichteten die Besitzer, dass Yuki und ihre Partnerkatze regelmäßig vor Antritt ihres Pensionsaufenthaltes mit einem Mittel gegen Ektoparasiten behandelt wurden; für den Rest des Jahres geschah dies nicht, da die Besitzer dies bei reinen Wohnungskatzen nicht für notwendig hielten.
Hier kam der Verdacht auf, dass Yukis Symptome tatsächlich auf Juckreiz infolge einer Flohspeichelallergie zurückzuführen sein könnten. Auch wenn mithilfe des Flohkammes bei Yuki keine Flöhe nachgewiesen werden konnten, schließt dies einen Flohbefall nicht aus: Katzen putzen sich häufig so gründlich, dass keine Flöhe und auch kein Flohkot im Fell nachzuweisen sind. Da Yukis Fell siamspezifisch kaum Unterwolle aufweist und sie generell eine sehr reinliche Katze ist, war es durchaus plausibel, dass sie sämtliche Hinweise auf Flöhe „weggeputzt“ hatte. In Absprache mit der behandelnden Tierärztin wurde den Besitzern somit die Durchführung einer umfassenden Flohkontrolle für drei Monate vorgeschlagen. Diese willigten ein, und Yuki (sowie ihrer Partnerkatze) wurde ein entsprechendes Ektoparasitikum verordnet.
Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Yukis Fell wuchs stetig nach, die kahlen Stellen schlossen sich. Damit war der Verdacht auf eine Flohspeichelallergie bestätigt; Yukis Kahllecken war eine Reaktion auf Juckreiz und nicht Ausdruck einer psychischen Störung. Hierzu passen auch die in den Hautbioptaten gefundenen vermehrten Mastzellen, die Hinweis sind für eine IgE-vermittelte allergische Reaktion, wozu auch die Flohspeichelallergie zählt. Da die Symptome seinerzeit unmittelbar im Anschluss an den Aufenthalt in der Tierklinik aufgetreten waren, ist davon auszugehen, dass Yuki dort mit einem Floh in Kontakt gekommen war (trotz aller Hygiene ist dies nicht zu 100 % zu vermeiden), oder Flöhe bzw. Floheier wurden durch Besucher, die ebenfalls Tiere halten, in Yukis häusliches Umfeld eingeschleppt.

Naturheilkundliche Begleitbehandlung

Neben der Verabreichung des Ektoparasitikums wurde Yuki begleitend naturheilkundlich behandelt. Hier fiel die Wahl auf die Organotherapie. Gemäß Paracelsus‘ Lehrsatz „Herz heilt Herz, Niere heilt Niere“, setzt die Organotherapie Organpräparate von Tieren (Rindern und Schweinen), die nach speziellen Verfahren aufbereitet und/oder gemäß homöopathischer Vorschriften potenziert wurden, in Form von Fertigarzneimitteln ein. Damit ist die Organotherapie eine organspezifische Therapie – durch die Zuführung von Bestandteilen eines gesunden Organes eines Tieres soll ein krankes Organ eines anderen Tieres geheilt werden.

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Die Heilung erfolgt durch die Bereitstellung von Information: Neben den Gewebebestandteilen des jeweiligen Organes sind im organotherapeutischen Arzneimittel gleichzeitig auch die Informationen enthalten, wie gesunde Organe richtig funktionieren. Diese Informationen bringen im Zielorgan Stoffwechselprozesse in Gang, die zu einer Regeneration dieses Organs bzw. seiner Organfunktionen führen. D.h., sobald das organotherapeutische Präparat sein homologes Zielorgan erreicht, werden dort Reize zur Regeneration des entsprechenden Gewebes gesetzt.
Für Yuki wurde ein organotherapeutisches Präparat mit dem Hauptbestandteil Thymus ausgewählt. Der Thymus ist ein zentraler Bestandteil des Immunsystems; im Thymus „lernen“ die T-Lymphozyten körpereigene Zellen von fremden Zellen (Viren, Bakterien) bzw. von entarteten körpereigenen Zellen zu unterscheiden, sodass fremde/entartete Zellen zerstört und gleichzeitig überschießende Angriffe auf gesunde körpereigene Zellen verhindert werden.
Eine spezielle Untergruppe von T-Zellen, die „Typ-2-T-Helferzelle“ (TH2-Zelle), ist maßgeblich am allergischen Geschehen beteiligt, indem sie die B-Lymphozyten (Lymphozyten, die im Knochenmark heranreifen und ebenfalls Teil des Immunsystems sind), „anweisen“, allergietypische IgE-Antikörper herzustellen (IgE-Antikörper spielen bei Allergien vom Sofort-Typ, wie auch der Flohallergie, eine entscheidende Rolle).
Da es sich bei einer Allergie um eine übersteigerte Reaktion des Immunsystems auf körperfremde Stoffe aus der Umwelt (wie im vorliegenden Fall den Flohspeichel) handelt, gilt es, diese übersteigerte Reaktion wieder „herunterzufahren“. Mithilfe der organotherapeutischen Präparate ist es nun möglich, eine Fehlfunktion von Organen bzw. Organsystemen „in jede Richtung“ zu korrigieren. D.h. im vorliegenden Fall, dass das eingesetzte Präparat mit dem Hauptbestandteil Thymus nicht nur ein defizitäres Immunsystem stimulieren kann, sondern im Gegenteil auch in der Lage ist, überschießende Reaktionen wie bei der Allergie auf ein normales Maß abzumildern, sodass es zu einer Abschwächung bzw. zum gänzlichen Verschwinden der allergischen Symptome kommt.
In Yukis Fall wurde also „zweigleisig“ therapiert: Durch den Einsatz des Ektoparasitikums wurde der Allergieauslöser (der Floh bzw. dessen Speichel) eliminiert. Durch den Einsatz der Organotherapie wurde Yukis Immunsystem derart „herunterreguliert“, dass die überschießende Reaktion auf den Flohspeichel, die überhaupt erst zum Auftreten der Symptome (Juckreiz) geführt hatte, abgemildert wurde. Auf diese Weise sollte erreicht werden, dass Yuki mittel- bis langfristig ohne Ektoparasitikum auskommt.
Aktuell ist Yukis Zustand stabil, d.h. die Symptome der Flohspeichelallergie sind gut unter Kontrolle. Das Fell ist komplett nachgewachsen, es gibt keine Stellen (wie zuletzt die Ohren), die übermäßig gekratzt werden. Zum jährlichen Aufenthalt in der Katzenpension erhält Yuki jeweils ein langwirkendes Ektoparasitikum, um dem in der Pension möglicherweise höheren Parasitendruck zu begegnen. Ansonsten wird Yuki viermal jährlich kurweise mit dem entsprechenden organotherapeutischen Präparat behandelt, um ein Wiederaufflammen von überschießenden Reaktionen zu verhindern.

Fazit

Yukis Fall zeigt, dass gerade bei Katzen, denen hier landläufig eine besondere Anfälligkeit unterstellt wird, erhöhte Vorsicht geboten ist, wenn es darum geht, eine „psychogene“ Ursache für Erkrankungen anzunehmen. Allzu groß ist die Gefahr, dass durch den (vorschnellen) Rückgriff auf die „Psyche“ der Blick für die eigentlichen, körperlichen, Ursachen der Symptome verstellt wird. Folglich kann dann auch keine ursächliche Therapie eingeleitet werden, die die Beschwerden des Tieres lindert bzw. heilt. So kommt – neben der umfassenden diagnostischen Aufarbeitung – einer gründlichen Anamnese, die möglichst jede Kleinigkeit in Betracht zieht und jeder Ungereimtheit gewissenhaft nachgeht, größte Bedeutung zu. Dabei sollte sich der Therapeut gerade bei Katzen stets bewusst machen, dass eine „psychogene“ Erkrankung immer nur eine Ausschlussdiagnose sein darf und nur als letzte Möglichkeit in Betracht gezogen werden sollte.

Nicole Schulte-Kulkmann
gepr. Tierheilpraktikerin (VDT)
KATZ DAHEIM Mobile Katzen- und Kleintierbetreuung / Mobile Tierheilpraxis für Katzen
www.katz-daheim.de

Quellen
Bauch, Jörg-Karsten (2013). Herz heilt Herz, Niere heilt Niere. Organotherapie in der Tiermedizin. In: Deutsches Tierärzteblatt, Vol.2 (2013): 170-173.

Hohmann, Mima (2017). Die Katze leckt sich den Bauch kahl, was tun? Ursachen und Therapie. In: Zeitschrift für ganzheitliche Tiermedizin, Vol.31, Nr.1; 25-32.

Peters, Stefanie (2015). Diagnostisches Vorgehen bei dermatologischen Problemen der Katze – Anamnese und klinische Bilder. In: Dermatologie der Katze – denn die Katze ist kein kleiner Hund! 16. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Veterinärdermatologie, Mannheim, 12. – 14. Juni 2015; 4-7.

Roosje, Petra J./Timm, Katrin (2015). Krankheiten der Haut. In: Lutz, Hans/Kohn, Barbara/Forterre, Franck (Hrsg.)(2015). Krankheiten der Katze. 5., vollständig überarbeitete und erweiterte Aufl., Stuttgart: Enke; 609-635.

Waisglass, Stephen E. et al. (2006). Underlying medical conditions in cats with presumptive psychogenic alopecia. In: Journal of the American Veterinary Medical Association, Vol.228, No.11; 1705-1709 https://doi.org/10.2460/javma.228.11.1705 [14.12.2020]

weitere Nachweise bei der Autorin

Aus der Verbandszeitschrift des Internationalen Tierheilpraktikerverbandes e.V. „tierisch geheilt“ | Ausgabe 1/2021